Jetzt ist hier natürlich was los im Netz… Thomas Hitzlsperger, der ehemalige Fußball-Nationalspieler und Profi, der erst vor wenigen Monaten seine aktive Karriere ad acta gelegt hat, bekennt sich öffentlich im Interview mit der Zeit zu seiner Homosexualität. Die einen winken gelangweilt ab, so wie ich das auch tue, wenn beispielsweise die katholische Kirche laut überlegt, ob Frauen nicht Priesterinnen werden könnten – oder vielleicht doch nicht. Diese Attitüde kommt so zum Beispiel beim Tweet von Michael Seemann ganz vortrefflich zum Ausdruck.
vielleicht werde ich ja anfangen, mich für fußball zu interessieren, wenn er im 21. jahrhundert angekommen ist. weckt mich wenns soweit ist.
— Michael Seemann (@mspro) 8. Januar 2014
Andererseits handelt es sich innerhalb der Fußball-Szene, die kein unwichtiger Spiegel der Gesellschaft ist, um einen in Deutschland beispiellosen Schritt, der nicht umsonst im Netz viel Zuspruch erfährt. Man hat sich ja schon oft gefragt, wie es sein kann, dass man den Prozentsatz nicht-heterosexueller Menschen in einer Bevölkerung mal auf 10, mal auf 20 Prozent und mal auf irgendwas dazwischen schätzt – allein unter den mehr als 400 Spielern der 1. Bundesliga will sich kein einziger finden? Unwahrscheinlich.
Schon lange ist klar, dass es schwule Fußballer geben muss, genauso wie es schwule Rapper gibt und man fragt sich, wie lange der Fußball sich noch derartig archaisch geben möchte, wo doch die Gesellschaft schon viel weiter ist. Doch wenn wir uns stellvertretend die aktuellen Aussagen des ehemaligen Arbeitsministers Norbert Blüm ansehen, der schwule Paare nicht für eine Familie hält, wird schnell klar, dass auch der Rest der Gesellschaft es noch nicht sonderlich weit nach vorn geschafft hat. Ganz zu schweigen von einigen Prozentteilen in den Fankurven, die mit Bananen auf Dunkelhäutige werfen und „Du schwule Sau“ für einen angemessenen Ausruf zur Diskreditierung sämtlicher Akteure auf dem Platz halten – vom Schiedsrichter bis zum Torwart.
Zur Wahrheit gehört auch, dass sich aktive Figuren des Fußball-Geschäfts häufig unterstützend äußern und den großen Schritt – das Outing Coming-out eines aktiven Profis – aber doch niemandem so recht empfehlen mögen. Mir fallen an dieser Stelle der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger ein, aber auch der Nationalmannschaftskapitän Philipp Lahm. Für Zwanziger war die Unterstützung homosexueller Profis Teil seiner politischen Agenda. Sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern hat er viel Initiative gezeigt und dennoch niemanden gedrängt. Philipp Lahm schreibt in seinem Buch „Der feine Unterschied“:
Foto: Egghead06 und Stefan Baudy
„Aber ich hätte natürlich kein Problem, wenn ich einem schwulen Fußballer begegnen würde […]. Für alle meine Kollegen kann ich in dieser Frage allerdings nicht sprechen. Ein schwuler Profi, der sich outet, hätte es bei uns bestimmt nicht einfach […]. Die Medien würden ihn auffressen. […] Im Stadion geht es nicht politisch korrekt zu. Die Fans suchen sich jede Schwäche des Gegners aus, um ihn anzugreifen, notfalls zu diffamieren […]. Es klingt vielleicht nicht besonders mutig oder visionär, aber es ist realistisch: Ich würde keinem schwulen Profifußballer raten, sich zu outen. Ich hätte Angst, dass es ihm gehen könnte wie dem englischen Profi Justin Fashanu, der sich nach seinem Outing so in die Enge getrieben fühlte, dass er schließlich Selbstmord beging.“
Auch Corny Littmann, ehemaliger St.-Pauli-Präsident und bekennender Homosexueller, fürchtet, ein Outing Coming-out würde das Ende einer Fußballerkarriere bedeuten und kritisierte die Machart der DFB-Broschüre, die schwulen Profis den Weg an die Öffentlichkeit erleichtern sollte, als naiv.
Zum Glück gibt es mittlerweile auch andere Nachrichten. Ähnlich wie Hitzlsperger wählte Robbie Rogers den Weg, sein Coming-out mit dem Ende seiner Fußballkarriere zu verknüpfen. Doch nachdem er viel Zuspruch zu diesem Schritt erfahren hatte, gab er schon bald darauf sein Comeback.
Es scheint sich also was zu bewegen – auch im Fußball. Von niemandem kann man von jetzt auf gleich diesen riesigen Schritt verlangen. Von arrivierten Sportlern im Ruhestand schon. Es ist zwar schade, dass wir im Sport noch nicht soweit sind, aber Hitzlsperger leistet einen nicht zu unterschätzenden Beitrag dazu, Homosexualität auch im Fußball Normalität werden zu lassen. The Hammer ebnet den Weg. Noch ein paar seiner Sorte, und wir werden den ersten aktiven Bundesligaspieler und dessen Outing Coming-out erleben – so wie es Jason Collins jüngst in der NBA vormachte.
Guys, come out and play!
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