Love Out Loud – Republica 2017
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Lauter Liebe auf der Republica #rp17

Vor einer Woche war ich schon mitten im Getümmel der Republica 2017. Noch Tage nach meiner Rückkehr aus Berlin gehen mir die vielen Eindrücke durch Kopf, durch Träume und Gespräche. Ich hatte eine richtig gute Zeit. Wer sich fragt, warum, kann hier ein bisschen teilhaben an meinem #rp17-Erlebnis:

Absoluter Höhepunkt: Elisabeth Wehling: „Die Macht der Sprachbilder – Politisches Framing und neurokognitive Kampagnenführung“

Die Kognitionsforscherin von der kalifornischen Berkeley-Universität zeigt auf, dass sich ein genauer Blick auf die Sprache, der wir begegnen und die wir selber benutzen, lohnt. Wir sind nicht in der Lage, rein faktische Dinge zu benennen, ohne dass nicht eine ganze Reihe an kulturellen Assoziationen mitschwingen.

Wir können nicht mal neutral beschreiben, ob wir ein halbvolles oder halbleeres Glas vor uns stehen haben („Das Glas ist zu 50 Prozent gefüllt“ ist eben nicht „geleert“). Vollkommen vergessen können wir dann das Unterfangen, komplexe soziale Phänomene neutral zu beschreiben. Die Flüchtlingswelle spielt mit einem Bild, bei dem wir keinerlei Empathie entwickeln mit den Menschen, die dort Hilfe brauchen und Not leiden. Vielmehr werden wir erinnert an Wasser, das abstrakt, kühl und unaufhaltsam auf uns zu flutet, vor dem wir uns abschotten müssen.

„Der Flüchtling“ ist nicht nur ein „-ling“, ein kleiner Wurm, der uns unterlegen ist, er ist auch männlich. Ja sicher, das ist nur das grammatikalische Geschlecht, doch Menschen, deren Sprachen unterschiedliche grammatikalische Geschlechter für den identischen Gegenstand bereithalten, die beschreiben diesen Gegenstand komplett unterschiedlich.

Im Deutschen ist der Schlüssel männlich. Wie sehen wir ihn? „Als hart, als kantig, als kalt.“ In Spanien ist „la llave“ eine Schlüsselin. Spanischsprachige Menschen beschreiben im Labor den identischen Schlüssel als „klein, niedlich, kompliziert“ – „wie Frauen nun einmal so sind…“

Der Vortrag erklärt, warum bei der Wahl Trumps nicht einfach die Wählerschaft bekloppt geworden ist, sondern wie erfolgreich und konsequent Trumps Kampagne politisches Framing auf der Jagd nach Zustimmung anwendete.

[Nachtrag: In dem Zusammenhang ist das Transkript des Interviews zwischen Cardiff Garcia und Robert Cialdini interessant: Es geht um Überzeugungskunst, den Kampf um Aufmerksamkeit und wie man seine Argumente ethisch verantwortungsvoll rüberbringt, wenn rationale Fakten nicht durchdringen.]

Auf meinem persönlichen zweiten Rang: Felix Schwenzel: „Update: die Kunst des Liebens“

Es gibt für mich neben Kathrin Passig keinen besseren Slideshow-Vortragsredner als Felix Schwenzel. Es geht immer ironisch zu, aber nie ohne Ernst und Tiefe. Katzen-Gifs und weitere Gimmicks unterstützen immer das Gesagte. Die Folien sind pure Unterhaltung. Bei jeder Firmenpräsentation, wo man gezwungen ist, 35 Mal in Folge das Datum und den Titel der heutigen Veranstaltung in der Fußzeile zu ignorieren, packt Schwenzel meist nahezu nichts auf die Folie und schockiert mit seinem Humor. Er ist der Beste.

Thematisch griff er Erich Fromms „Die Kunst des Liebens“ auf. Als ich das Buch vor rund 16 Jahren las, war ich tief berührt und sauer zugleich. Die homosexuelle Liebe zählte für Fromm nicht dazu. Schwenzel ließ das Publikum darüber nachdenken, wie sehr der eigene innere Narziss einer erfüllten Liebe im Wege steht.

Nummer 3: Carolin Emcke „Reflexion: Love Out Loud“

Alles, was Fromm damals versäumt hat, holt Emcke hier nach. Der interessanteste Aspekt dabei für mich? Der Widerspruch zwischen „als normal anerkannt werden wollen“, sich nach „Beiläufigkeit“ sehnen, „nichts Besonders sein wollen“ einerseits und der Notwendigkeit, auf dem Weg dorthin immer wieder selbst laut sein und für die eigene Ausprägung der Liebe einstehen zu müssen andererseits.

Wenn der Inhalt saugt, sind da immer noch die Menschen

Als Miasanrot-Bloggerin habe ich mich natürlich auch für das Thema „Blogs – Die Zukunft der fachlichen Sportberichterstattung“ interessiert. Doch arbeiteten hier eher alteingesessene Journalisten die jüngere Vergangenheit auf.


Warum als Intro der Werbetrailer eines Sport-Streaming-Dienstes eingespielt wurde, wird mir ein Rätsel bleiben. Das einzig erfrischende an dem Event: ich durfte Stefanie Fiebrig live und in Farbe kennenlernen, die ich bislang nur als „@rudelbildung“ aus dem Internet kannte. Von ihr kann man sich abschauen, wie man die kuriosesten Aussagen noch scharfsinnig, humorvoll und gewinnend kontert…

Überhaupt habe ich schon wieder einen ganzen Haufen lieber Menschen getroffen. Viele alte Bekannte, einige Neue und im Gegensatz zum letzten Jahr, wo ich parallel ständig am Handy und am Laptop mit Arbeiten beschäftigt war, war ich diesmal ganz offen, um voll und ganz einzutauchen. Ergebnis: Dieses Jahr hat mir die Republica tausend Mal mehr Spaß gemacht.

Nochmal von vorn: Was ist die Republica?

Die deutsche Blogger-Filterblase nennt es schon ein Jahrzehnt lang „Klassentreffen“. Einige Programmier-Nerds meiden sie, weil sie mittlerweile als größte Digitalkonferenz Europas angekommen ist im Mainstream. Neben den Macherinnen und Tüftlern treffen sich mittlerweile auch jede Menge Marketing-Leute und Journalisten dort. Wenig verwunderlich, denn seit einigen Jahren wird die Veranstaltung um die parallel laufende Media Convention ergänzt.

Das führt zu ganz ehrlichen, harten Widersprüchen: IT-Firmen, die bei der Begrüßung noch Lob und Applaus als Sponsoren genießen, werden auf dem nächsten Panel als Datenmonopolisten und Lobbyisten gebrandmarkt – auch wenn der Redner einer der Veranstalter ist. Verschlüsselungsexperten kämpfen für Datenschutz und digitale Rechte, während Entwicklerinnen ihre Tracking-Tools preisen und Marketing-Profis veranschaulichen, wie online hinterlassene Daten die beste Basis bilden für die gelungene Werbekampagne.

Was ist essenziell an menschlicher Intelligenz und Kreativität? Wie unterscheidet sie sich von Machine Learning. Ja, die Republica ist ein großes zeitgenössisches Bullshit-Bingo-Happening, aber sie macht verdammt viel Spaß.

Für mich ist diese Mischung perfekt. Genauso wie die Location. Es gibt drinnen und draußen, große Säle, kleine Zimmer, Bars, Kaffeebuden, Kunstinstallationen, Party und Musik, Workshops zum Mitmachen, Bällebäder zum Bällebaden…

Über 700 Vortragende auf rund zehn Bühnen — vom Konzertsaal bis zum Klassenzimmer — trugen ihre Themen vor. Teils auf Englisch, teils auf Deutsch. Gründungsmitglied Markus Beckedahl entschuldigte sich schon während der Begrüßungszeremonie: eine Frauenquote von 50 Prozent habe man leider nicht erreicht. Der Anteil von Rednerinnen auf der Republica würde bedauerlicherweise lediglich 47 Prozent betragen… und gelobte Besserung.

Nach den letzten Post-Snowden-Jahren, in denen für viele Utopisten die Blase vom Internet als Allheilmittel für mehr Demokratie und Freiheit geplatzt und die Stimmung dezent niedergedrückt war, strahlte die Konferenz mit dem diesjährigen Motto „Love Out Loud“ ein betont positives Signal aus. Bei all den Trollen und all dem Hass im Netz, bei all den Versuchen, Menschen politisch mit den einfachen Lösungen zu ködern, sollen wir uns aufraffen, nicht als schweigende Mehrheit zu dulden, sondern den Opfern zur Seite zu stehen, uns einzumischen und mehr Liebe zu verteilen.

Danke an das Macher-Team! Ihr habt Euch riesige Mühe gegeben, eine schöne Atmosphäre für Austausch, Streit und Miteinander zu schaffen. Und das hat geklappt.

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  1. Pingback: Power to the People: die POP-Republica #rp18 | Kopfkompost

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